Editorial Kommentare
Wohnräume, Spiegel des eigenen Ichs | von Pierluigi Masini
Wohnräume dienen immer mehr als Projektionsfläche für den eigenen Lebensstil; es sind Kommunikationselemente, die mehr oder weniger offen die eigene Persönlichkeit reflektieren. Oftmals ist es eine bewusste Entscheidung, die aussagt: Ich bin es, der bzw. die diese Einrichtung, diese Räume und genau diese Kombination liebt. Die Wohnungseinrichtung gibt Aufschluss über die Persönlichkeit eines Menschen. Sie kann wie eine Reise durch die eigene individuelle Welt, gewissermaßen als Konzentrat des „anderen Selbst“ angelegt sein. Oder man kann sich einfach so zeigen, wie man ist. Man kann sich für Dinge entscheiden, die repräsentativ für das persönliche Leben sind, von anderen Welten träumen oder der Verbundenheit mit seinen Wurzeln Ausdruck geben. Die individuelle Einrichtung ermöglicht, Distanz zu anderen aufzubauen oder Freiheit auszudrücken.
Mit der eigenen Wohnung stellt man sein Innerstes dar, es ist eine familiäre Umgebung, die man nur mit Freunden teilt oder als Inszenierung ansieht und über soziale Netzwerke präsentiert. In der individuellen Gestaltung werden die eigenen Werte zum Ausdruck gebracht. Das unterschiedslose Marketing der achtziger Jahre liegt weit hinter uns, heute stellen wir das Ich ins Zentrum unserer Entscheidungen.
Das ist der derzeitige Mood, in dem sich der von Baudrillard theoretisierte (un)bewusste Übergang von der Postmodernität zur flüchtigen Moderne Baumans und darüber hinaus vollzieht. Alles kreist um das Ich, ist Ich-bezogen. Einrichtungstrends sind vor dem Hintergrund dieser Gedanken zu deuten: wie treten sie zutage, wer bestimmt sie, wie aufwändig ist es, allgemeine und für alle geeignete Trends auszudrücken.
Nehmen wir beispielsweise das Modedesign und den Trend der Top-Marken, personalisierte Produkte zu erschaffen: Heute bieten Designermarken eine Überarbeitung ihrer eigenen Kultobjekte, vermischen sie mit orientalischen Einflüssen und dem Flair der achtziger Jahre und schaffen so Dissonanzen. Auf weithin bekannten Texturen werden Symbole anderer, teils sehr weit entfernter Welten wie Underground oder Grunge angebracht. Die Stilmittel in der Modewelt, die sich als die stärksten und langlebigsten erwiesen haben, sind Ironie und das Sich-infrage-stellen. Zeichen und Symbole entstehen, die noch bis vor wenigen Jahren keinesfalls mit Luxus in Verbindung gebracht wurden, eine Art „Goldtrash“.
Übertragen auf die Welt der Einrichtung und des Lifestyles zeigt sich dieser Trend zur extremen Individualisierung beispielsweise bei einigen Kunst- und Design-Galerien, die für ihre Auftraggeber in der ganzen Welt raffinierte Einrichtungsobjekte entwickeln, über die ihre Eigentümer dann umgehend in Fachzeitschriften berichten.
Dazu gehört u.a. die Dimore Gallery in Mailand, die anlässlich der jüngsten Design Week Tausende von Menschen dazu bewegt hat, sich eine mit sanfter Atmosphäre, Musik, Düften, alten und neuen Objekten geschaffene Traumwelterzählung anzusehen, die auf den zeitlos-ikonischen Einrichtungselementen von Gabriella Crespi beruht. Auch hier steht das Erlebnis im Mittelpunkt. Und ein solches Erlebnis wird von DimoreStudio, der Planungsabteilung des Unternehmens, beispielsweise im Haus der beiden Gründer von Dsquared in London geboten, um nur ein Beispiel für diesen Stil zu nennen, dem es gelingt, Designikonen der fünfziger Jahre wie in einer Reise durch vergangen geglaubte Stimmungsbilder zu verbinden.
In der Blütezeit des Designs, in den 60er-70er Jahren, war ein Designer noch Urheber und Erfinder, mittlerweile ist er zum Art Director geworden, der ein Ambiente gestaltet und den Geschmack des Auftraggebers interpretiert. Aber allen Trends und jedem Wandel zum Trotz, eines bleibt und das ist die Farbe Gold. Auch für den, der schon alles besitzt, zeigt sich Luxus immer noch in derselben Farbe – ob gebürstetes Messing, Blattgold auf Tischflächen, goldfarbene, auf Betonflächen gegossene Äderungen, welche die Perfektion des Unperfekten hervorheben, oder vergoldete Blätter, die durch LED beleuchtet werden. Eine Luxury-Design-Marke wie Visionnaire ist bestens damit vertraut, denn schon in ihrem Logo nutzt sie ausgiebig Gold. Sofortigen Widerhall hat dies in einigen Märkten gefunden, wo sich die Marke exponentiell entwickeln konnte.
Schon in einer Rossini-Arie heißt es „wenn mir erglänzt des Goldes lichter Schein“ – sie nimmt heutige Entwicklungen vorweg. Besonders beliebt ist die Farbe Gold bei Kunden in aufstrebenden Märkten wie China, Indien, Russland und in Nah- und Fernost. Gold ist ein Statussymbol, das aber auch unterhaltsame Seiten haben kann, wie das Atelier Biagetti zeigt, das seit einigen Jahren diesen Trend mit dem Kunstprojekt God ironisiert, bei dem auf provokante Weise Goldbarren verkauft werden und sogar Kinderschaukeln aus Gold sind.
Juli 2019