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Vertical Farming und Neomanufacturing: so sieht die Stadt des dritten Jahrtausends aus | von Barbara Benini
Die Stadt der Zukunft wird sich nicht nur durch die Innenstädte definieren, ein bedeutender Teil ihrer Funktionen wird sich außerhalb des Kerngebiets abspielen, in der sogenannten „Zwischenstadt“, das heißt der Zone, die weder als Innenstadt noch als klassische Vororte im Grünen identifiziert werden kann. Dazu gehören Infrastrukturen wie Flughäfen und Häfen, aber auch große Gebiete mit Büros und Logistikeinrichtungen. Das behauptet „Urban evolution“, die im März 2022 in Zusammenarbeit mit der Finanzgesellschaft Arthesia veröffentlichte Studie der Immobilienberatungsgesellschaft JLL, die darauf abzielt, die zukünftigen Richtungen der Entwicklung der Städte und ihr Potential herauszufinden.
In der Studie von JLL wurden zwei spezifische Entwicklungen beobachtet, die unsere Städte und die entsprechenden Immobilienmärkte in den kommenden Jahren immer stärker beeinflussen werden: erneuerte Fertigungsunternehmen mit Standort in der Stadt, dem sogenannten Neomanufacturingen, und die als vertikale Landwirtschaft oder Vertical Farming bekannte neue industrielle Nahrungsproduktion. Innovative Unternehmen, die aufgrund der neuen Paradigmen der Zweckmäßigkeit und Nachhaltigkeit, denen sie gerecht werden, für Immobilienentwickler und ‑investoren ziemlich interessante Einsatzmöglichkeiten darstellen.
Diese neue Art der Verwendung der Städte spielt eine wichtige Rolle, um die Versorgung zu verbessern und Wertschöpfungsaktivitäten, die jetzt nach Asien oder in andere europäische Länder ausgelagert sind, in die Stadt zurückzuholen. Die örtliche Produktion und Versorgung werden immer wichtiger, vor allem in Hinsicht auf eine verantwortungsbewusste Produktion und einen verantwortungsvollen Konsum und die Schaffung von nachhaltigen Städten und Gemeinschaften – was auch die von der UNO festgelegten Ziele für die Nachhaltigkeit sind.
Vertikale Landwirtschaft, sagten wir. Mit dieser Bezeichnung ist der Anbau/die Züchtung von Produkten auf pflanzlicher oder tierischer Basis in einer mehrstöckigen Umgebung gemeint. Vertikale Landwirtschaft kann auf einem ganzen Gebäude oder einzelnen Stockwerken einer Immobilie wie einem Untergeschoß oder Dach mit oder ohne natürliches Licht betrieben werden. Die Größen einer vertikalen Farm reichen vom Mikroanbau zur Versorgung einzelner Restaurants bis hin zur Massenproduktion im großen Stil.
Der Ernteertrag der vertikalen Landwirtschaft ist viel höher als bei der traditionellen Landwirtschaft oder beim Gartenbau im Gewächshaus, bei einigen Produkten kann sie sogar 100 Mal so groß sein. Das bedeutet, dass auf 1 Quadratmeter Oberfläche einer vertikalen Farm die gleiche Menge wie auf 100 Quadratmetern herkömmlichem Ackerland geerntet werden kann. Noch stärker sind die Möglichkeiten zu begreifen, wenn man daran denkt, dass allein in Deutschland potentiell Lagergebäude mit einer Gesamtfläche von 50 Millionen Quadratmetern für die vertikale Landwirtschaft zur Verfügung stehen, die in der Lage sind, den gesamten Kalorienbedarf der deutschen Bevölkerung zu decken.
Aber das sind noch nicht alle Vorteile. Der vertikale Anbau ermöglicht wetterunabhängig eine ganzjährige Produktion (somit fällt auch das Risiko eines Ernteverlustes weg), kann in unterirdischen Tunneln oder im hundertsten Stockwerk eines Wolkenkratzers erfolgen und beseitigt komplett das Problem des Transports mit all seinen Folgen bezüglich schädlicher Emissionen.
Mit der vertikalen Landwirtschaft zeichnet sich daher eine neue Art des Anbaus mit hohem technologischem Wert ab, die sich durch einen hohen Grad an Nachhaltigkeit (die vertikale Landwirtschaft braucht 70 % bis 95 % weniger Wasser und 10 bis 20 Mal weniger Land als die traditionelle), Planungssicherheit dank der Art der verwendeten Technologie und der regelmäßigen Lieferung von Wasser, Licht und Nährstoffen, die das Risiko, die Produktion unterbrechen zu müssen, auf ein Minimum herabsetzen, und Selbstversorgung, das es möglich ist, auf lokaler Ebene produzieren können – sowohl auf „häuslicher“ Ebene (denken Sie nur an die integrierten Regale und an die Gewächshäuser in Miniatur in den Supermärkten) als auch im industriellen Maßstab.
Was die Immobilienbranche im Spezifischen betrifft, erfordert die vertikale Landwirtschaft angemessen geplante und umgesetzte Gebäude mit besonderen technischen und technologischen Merkmalen, die die Beibehaltung einer konstanten oder regulierbaren Temperatur und die Kontrolle der Luftfeuchtigkeit anhand von isolierten Gebäudehüllen gewährleisten.
Klar, es gibt noch einige Aspekte, die perfektioniert werden müssen, damit sich diese Art von Anbau systematisch verbreiten kann, wie ihr hoher Elektrizitätsbedarf oder eine angemessene Planung der Landnutzung, aber es gibt bereits gute vorbildliche Beispiele in dieser Hinsicht – sowohl in Ostasien als auch in Europa. In Deutschland zum Beispiel betreibt die Berliner Gesellschaft Infarm ein Netz aus vertikalen Farmen in elf Ländern. Auf deutschem Gebiet hat das Unternehmen drei große landwirtschaftliche Betriebe in Berlin-Spandau, Hannover-Langenhagen und Pfungstadt und ehrgeizige Wachstumsziele: Bis 2030 beabsichtigt Infarm, hundert Anbauzentren in zwanzig Ländern zu betreiben.
Die Immobilienbranche ist für die Entwicklung dieser Betriebe ein wichtiger Akteur und Mitarbeiter. Für innovative Immobilieninvestoren, die langfristig denken und den Mut haben, in ihren Portfolios einen breitgefächerteren Branchenmix zu berücksichtigen, wird diese Art von Immobilie zu einer interessanten Alternative zu den traditionellen „Asset classes“. Interessante Investitionsgelegenheiten können die aufgrund ihrer Anordnung für die Nutzung in der Logistik ungeeigneten Lager darstellen, die auf die industrielle Lebensmittelproduktion umgestellt werden könnten. Die aktuellen Erträge werden zwischen 4 % und 5 % eingeschätzt, einen etwas höheren Wert als den, der im Moment für klassische Logistikimmobilien bezahlt wird.
Laut der Studie von JLL werden auch die Produktion auf der Grundlage der Industrie 4.0 und die neuen Technologien neuen Platz in den Städten der Zukunft finden und interessante Gelegenheiten für die Nutzung von freien Büros und Gewerbebereiche eröffnen.
Und hier kommt das Neomanufacturing ins Spiel, das heißt eine städtische Produktion, die innovative Technologien und Materialien für die Fertigung individueller Produkte – hauptsächlich in kleinen Mengen – verwendet und die gleichzeitig in der Lage ist, eine emotionale Bindung zum Produktionsort und dem Image des damit verbundenen Produkts zu schaffen. Neomanufacturing bedeutet, dass die Produktionsindustrie sich gleich neben den Wohnbereichen einer Stadt befindet. Im Endeffekt kann der Begriff Neomanufacturing an alle Firmen von Branchen angewendet werden, die als auf die Stadt ausgerichtet beschrieben werden können, zum Beispiel High-Tech, Gesundheit und Handwerk.
Das Neomanufacturing ist aus zwei Hauptgründen eine interessante Branche: Sie bringt Arbeitsplätze auf hohem Niveau abseits der Dienstleistungs- und Wissensbranche in die Stadt zurück und macht die Produktion in einer städtischen Umgebung und folglich die Verwendung städtischer Etiketten (wir meinen damit etwa ein „Made in“ auf lokaler Ebene) attraktiv, vor allem für Lifestyle-Produkte wie Fahrräder, Mode, Uhren und Brillen, aber immer stärker auch für größere Produkte wie Elektroscooter oder spezialisierte elektrische Fahrzeuge, und kann einen klaren Vorteil in Sachen Produktmarketing darstellen. Auch die Städte profitieren von diesen Etiketten und die Firmen werden zu Botschaftern der Marke einer Stadt.
Auch das Neomanufacturing ist daher dazu bestimmt, eine neue Unterklasse in der Immobilienbranche zu werden. Es gibt bereits erste Anzeichen, denken Sie nur an die von Produktionsfirmen in den Städten gemieteten Räumen, um die eigenen Produkte auszustellen.
In diesem Bereich gibt es auf dem deutschen Markt ein großes Potential. In Deutschland gibt es fast 24.000 Fertigungsunternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten. Insgesamt arbeiten für diese Unternehmen ungefähr 690.000 Mitarbeiter und mehr als 3.700 davon befinden sich in einer unabhängigen Stadt oder in städtischen Gebieten. In diesen Städten stellen diese Kleinbetriebe 46 % aller Fertigungsunternehmen dar.
Wenn wir schließlich die Firmen und Beschäftigten untersuchen, die „auf die Stadt ausgerichteten“ Branchen angehören, könnte die Neomanufacturing in Deutschland den Schätzungen von JLL nach 680.000 Firmen mit insgesamt 6,7 Millionen Beschäftigten betreffen.
Die Nachfrage nach Immobilien, die potentiell das Neomanufacturing aufnehmen könnten, ist unter den Immobilieninvestoren in Deutschland sehr hoch. 2021 gab es einen neuen Rekord beim Transaktionsvolumen auf dem deutschen Markt der Investitionen in Immobilien mit einem Gesamtwert von mehr als 110 Milliarden Euro. Auch im Logistiksegment wurde 2021 mit mehr als 10 Milliarden in Produktionslager, Vertriebsimmobilien und Leichtindustriebetriebe investiertem Kapital ein neuer Rekord erzielt.
Da die Städte darauf abzielen, zu produktiven, integrativen und diversifizierten Orten zu werden, werden der Bedarf nach Nachhaltigkeit und der Impuls zum Umdenken der städtischen Entwicklung schließlich laut JLL dazu führen, dass neue Immobilieninvestitionsklassen entstehen. In den kommenden Jahren wird die vertikale Landwirtschaft dank der Diskussionen in der Gesellschaft zum Klimawandel in Kombination mit der Landwirtschaft großen Auftrieb erhalten, während das Neomanufacturing die Gelegenheit einer stärkeren Einbindung der Produktionsindustrie in die Städte und der Erweiterung der Funktionsmischung in den Ballungszentren bietet.
Download der JLL-Studie “Urban Evolution”
Mai 2022