Editorial Kommentare, Projekte
Museen und Stiftungen setzen auf Keramik | von Olivier Namias
Durch die Entwicklung des Tourismus und einen immer ausgeprägteren Sinn für Kultur werden Museen immer beliebter: Jedes Thema hat sein eigenes Museum, jedes große Unternehmen seine eigene Privatstiftung. Neben den europäischen Museumsgiganten, dem Louvre in Paris, den Uffizien in Florenz, der National Gallery in London oder dem Pergamon-Museum in Berlin, gibt es kleinere und mittelgroße Museen, die einem Künstler, bestimmten Objekten, einer künstlerischen Periode, einer Geschichtsepoche, einer Stadt oder einer Disziplin, wie beispielsweise Medizin, Kochkunst oder Naturkunde, gewidmet sind. Die Bandbreite an Themen scheint unerschöpflich zu sein. Der gemeinsame Punkt all dieser Museen ˗ ob groß oder klein ˗ ist, dass diese als markante Gebäude im städtischen Raum präsent sind. Museen sind die Schätze ihrer Städte! Sie ziehen Besucher an und machen die Städte, in denen sie stehen, in aller Welt publik. Es ist kein Zufall, dass die neuen Metropolen am Persischen Golf ihre Museen fördern. Manchmal werden diese in Kooperation mit älteren Institutionen realisiert. Der Louvre Abu Dhabi und das Nationalmuseum von Katar befinden sich in zwei bemerkenswerten Gebäuden, die von Jean Nouvel entworfen wurden.
Weltweit eröffnen die renommiertesten Kultur¬institutionen Niederlassungen außerhalb ihres Heimatlandes: Nach dem historischen Guggenheim in Venedig und dem Guggenheim in Bilbao, welches Teil der modernen Kulturgeschichte ist, wird der Bau eines Guggenheim-Museums in Helsinki in Erwägung gezogen. Unabhängig von der Größe der Institution werden die angesehensten Architekten dazu eingeladen, emblematische Gebäude zu entwerfen: Renzo Piano, Jean Nouvel, Frank Gehry und viele andere machen Museen nicht nur zu Orten der Sammlung von Werken, sondern zu Werken an sich.
Above: the Museo di Palazzo Vecchio, Florence and the Museo Egizio, Turin.
Keramik im Museum: ein „Allroundmaterial“
Abgesehen von ihrem Charakter als Kunstwerk haben Museen vor allem unzählige Aufgaben zu erfüllen. Der Erhalt und die Präsentation der ausgestellten Objekte stellen große Herausforderungen dar. Die Flut des Publikums eine andere. Denn kontinuierliche Besucherströme belasten ein Gebäude. Die Anforderungen sind oft komplex. Vielfach sind Konzepte gefordert, die mannigfaltige Nutzungsmöglichkeiten erlauben. Temporäre Ausstellungen und permanente Sammlungen erfordern flexible beziehungsweise maßgeschneiderte Konzepte. Neben den Ausstellungsäumen von Museen gibt es in der Regel auch Restaurants, Buchhandlungen und Museumsshops, die als Einnahmequellen für das finanzielle Gleichgewicht der Kulturinstitutionen wichtig sind. Bedeutend für das Museum ist nicht zuletzt auch sein Erscheinungsbild, seine Architektur. Denn diese begleitet die Besucher innen und außen, wertet die Werke auf und stiftet eine eigene Identität. Funktionale Anforderungen vermischen sich so mit fast spirituellen Aspekten, nämlich dem Wunsch, eine Erinnerungskultur zu schaffen, und Kulturgüter und Wissen, die so viele Fragmente unserer Identität ausmachen, langfristig, vielleicht sogar ewig, zu erhalten ˗ auch mit Hilfe von Technik. Für den Bau dieser modernen Kulturtempel können unterschiedlichste Materialien verwendet werden. Nur wenige werden allerdings so vielseitig und flexibel sein, um auf die zahlreichen Bedingungen derart anspruchsvoller Anforderungen reagieren zu können. Terrakotta, ein Material, das in vielen Relikten der Vergangenheit in Form von Ziegeln oder Amphoren existiert, hat seine Beständigkeit und Widerstandsfähigkeit gegen die Zeit bereits hinreichend bewiesen.
Keramische Böden: widerstandsfähige Schönheiten
Erfolgreiche Museumskonzepte bringen eine große Verantwortung mit sich, denn sie müssen den Besuchern einen permanenten Zugang zu den Werken unter bestmöglichen Bedingungen bieten. Statistiken zeigen, dass große Museen täglich Tausende von Menschen empfangen. Sämtliche Oberflächen, angefangen bei den Böden, unterliegen der Gefahr einer beschleunigten Abnutzung. Ausstellungssäle schließen zu müssen, weil der Boden erneuert werden muss, kann jedoch nicht sinnvoll sein. Langlebigkeit und Wartungsfreundlichkeit gelten deshalb als Grundvoraussetzungen hoch frequentierter Böden. Diese müssen leicht zu reinigen sein, auch mit industriellen Mitteln, falls es die Größe der zu behandelnden Oberflächen erfordert. Außerdem müssen sie rutschfest und für die Besucher sicher sein. Diese Parameter finden sich perfekt in keramischen Produkten wieder. So legt beispielsweise die UPEC-Norm Parameter für Verschleiß, Durchstoßfestigkeit, Wartungshäufigkeit und Chemikalienbeständigkeit fest. Diese Klassifizierung ist zwar ein in Frankreich geltender Standard, aber jedes europäische Land hat seine eigene Version. Widerstandsfähigkeit ist ein entscheidender Faktor bei der Wahl von Keramik, aber nicht der einzige. Ästhetische Aspekte spielen eine wichtige Rolle, angefangen beim Format. Groß oder klein? Die vor rund zehn Jahren auf den Markt gebrachten großformatigen Feinsteinzeugplatten haben ihre hervorragende Festigkeit und Stabilität bereits unter Beweis gestellt. 3×1 Quadratmeter große Platten und damit reduzierte Fugen können die Illusion eines Gießharzbodens vermitteln. Aus Gründen der Verlegung und des Größenverhältnisses zwischen Platten und Raum werden für Böden jedoch eher Größen von 60×60 Zentimetern empfohlen. Die Verlegung kleinerer Elemente ist eine Option und sie ermöglicht es, mit dem Fugenbild zu spielen.
Andere technische Faktoren, wie die Kompatibilität mit Fußbodenheizungen, die gleichmäßige Wärme abgeben, aber unsichtbar bleiben, müssen beim Verlegen von Keramik berücksichtigt werden. Aus ästhetischer Sicht eröffnet Keramik unzählige Möglichkeiten: Nachbildungen aller Arten von Stein, Beton, Stahl und Holz erlauben es, neue Elemente optisch mit dem Bestand zu verbinden, zum Beispiel dann, wenn der alte Steinboden eines Museums erweitert werden soll, oder wenn die Charakteristik einer Betonwand in ähnlicher Materialität am Boden fortgeführt werden soll. Das Spielen mit Helligkeitsstufen kann interessant sein. Außerdem können viele für den Innenbereich geeignete Feinsteinzeugplatten aufgrund ihrer in sich geschlossenen Oberflächen auch auf Terrassen und Veranden verwendet werden. Dies schafft eine nahtlose Kontinuität zwischen innen und außen − das zentrale Thema der modernen Architektur! Voraussetzung ist aber, dass das darunter liegende Trägermaterial so beschaffen ist, dass es die Niveauunterschiede zwischen einer verklebten und einer schwimmenden Verlegung ausgleichen kann.
Above: The Mucciaccia Gallery, Rome and the Musical Instrument Museum, Phoenix.
Keramische Wände: Relief und Textur
Keramik ist ein vielseitiges Material, das auch an Wänden eingesetzt werden kann: Die Entwicklung von Feinsteinzeug mit geringer, nur wenige Millimeter dünner Materialstärke hat ein Spielfeld für große Formate eröffnet. Damit lassen sich Bodenbeläge und Wandverkleidungen wie nie zuvor aneinander anpassen. Dünnere, größere und weniger schwere Keramik kann beispielsweise verwendet werden, um eine Türe vollständig mit großen Keramikelementen zu bekleiden. In bestimmten Architekturbereichen, beispielsweise in Bädern oder bei Fassaden, können reduzierte Fugen sinnvoll sein. Umgekehrt können aber auch markante Fugenbilder architektonisch eine wichtige Rolle spielen. Vertikal an der Wand verlegte Fliesen müssen nicht plan sein und eröffnen damit den Weg zu Produkten in Reliefform mit kleinen oder großen Abmessungen, die an bestimmten Stellen oder an der gesamten Wand verlegt werden. Mit vielfachen Licht- und Schattenspielen, taktilen oder grafischen Reizen ˗ glasiert, glatt, matt oder rau ˗ stimulieren Keramikprodukte sowohl die visuelle als auch die haptische Wahrnehmung. Denn im Gegensatz zu Kunstwerken darf man Wände sogar berühren. Analog zu Fußböden ist auch bei Wänden die Pflegefreundlichkeit von Keramikverkleidungen gegeben. Und es kann darüber hinaus, im Gegensatz zu gestrichenen Wänden, auf regelmäßiges neues Streichen verzichtet werden.
Keramik im Außenbereich
Die Schaffung von Museumsräumen mit keramischen Materialien setzt sich konsequenterweise in der Fassade fort. Seit zwanzig Jahren bietet der Markt technische Lösungen für den Bau von hinterlüfteten Fassaden an, die den Einsatz von großen Keramikelementen an der Fassade ermöglichen. Diese großflächigen Produkte können in Gebäuden, bei denen Glasoberflächen zum Schutz lichtempfindlicher Arbeiten reduziert werden müssen, sehr nützlich sein.
Will man sich von Standardprodukten im Katalog lösen, so ist ab einem bestimmten Volumen auch die individuelle Fliesengestaltung eine Option. Dies gilt sowohl für Innen- als auch für Außenräume. Abgesehen vom Budget stellt die Vorstellungskraft zweifellos die einzige Grenze der Ausdrucksmöglichkeiten dar. Seien es breite Farbpaletten, kleine Elemente, dreidimensionale Formen, Verlegungen mit Klebstoffen oder Kombinationen mit anderen Materialien ˗ große Museen und Stiftungen wie in Lissabon und Santander verdanken ihr einzigartiges Erscheinungsbild der exakt auf sie zugeschnittenen Keramikverkleidung, welche in enger Zusammenarbeit mit den Architekten entwickelt wurde. Offen für Innovationen, zögert die italienische Keramikbranche nicht, spezifische Produkte zu entwickeln und bekannte Grenzen zu überschreiten. Deutlich wird dies zum Beispiel bei der nahtlosen Verlegung von Feinsteinzeug auf Dächern und Fassaden. Schräge Dach- und vertikale Fassadenflächen lassen sich in homogener Art und Weise verbinden, nicht zuletzt dank ausgeklügelter Vorrichtungen zum Verbergen der Abflüsse. Italienische Architekturkeramik lässt außergewöhnliche Museums- und Kulturprojekte entstehen.
Weitere Beispiele für den Einsatz von Keramikbelägen im Cultural Venues der Projektgalerie ansehen.
Juli 2020