Interviews
Lernen von den Meistern | von Alessandra Coppa
«Ich habe Projekte entworfen für Unternehmen, in denen Meister wie Montina, Fontana Arte, Poltronova, Oluce gearbeitet haben…Meine Absicht war es, leise einzutreten, Respekt zu zollen, dabei aber keine Angst zu haben, etwas Neues zu entwickeln»
Der Architekt und Designer Timothy Power landet 1990 auf Antreiben von Ettore Sottsass in Italien und in seinem Büro in Mailand. Tim, gebürtig in Santa Barbara und aufgewachsen im Norden und Süden Kaliforniens und auf Hawaii, war zu jenem Zeitpunkt mit der Realisierung des Museum of Technology Silikon Valley in San Franzisko für das Büro A+O beschäftigt. Sein Eintritt in Sottsass Associati fällt zusammen mit einer internationalen, experimentellen und extrem reizvollen Epoche des Büros. Er ist als Planer verschiedener Werke tätig, vom Design zur Urbanistik, in die Erfahrungswerte aus seinem zweijährigen Aufenthalt in Florenz zum Thema Radikale Architektur von Superstudio fließen.
Erzählen Sie uns doch ein wenig von Ihrer eher ungewöhnlichen Ausbildung an amerikanischen Universitäten, dem Politecnico in Mailand und den Erlebnissen mit Ettore Sottsass.
Noch vor Beginn meiner eigentlichen Tätigkeit als Architekt habe ich in der post-radikalen Phase im Superstudio in Florenz mit seiner multidisziplinären Atmosphäre gearbeitet. Im Anschluss habe ich in den goldenen Jahren auch mit Gianni Pettena und Sottsass kooperiert. Meine Ausbildung begann auf einer sehr technisch orientierten Hochschule, der California Polytechnic State University. Danach bin ich nach Italien gekommen und dort mit einer Welt an der Grenze zur Kunst, einer Gesellschaft mit Land Art und Body Art in Berührung gekommen. Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre war Mailand die Anlaufstelle für diese Mischung verschiedener Kunstrichtungen. Zu dem Zeitpunkt gab es den strengen Ansatz von Gregoretti, der neben dem eher unkonventionellen von Sottsass florierte und es entstanden die Büros Good Design, Citterio und Lissoni. Eine recht ‚kleine‘ Welt, in der sich alle kannten und wo es viel zu tun gab. Erst jetzt scheint Mailand nach recht schweren Jahren wieder in ähnlicher Weise aufzuleben.
Welche Erinnerungen haben Sie an die Jahre mit Sottsass?
Ich bin 1990 nach Mailand gekommen und habe mit Sottsass in seinem Büro in Via Borgonuovo gearbeitet. Aus den Erfahrungen dieser Zeit und der Arbeit mit Ettore habe ich den transversalen Ansatz der Architektur zur Kunstwelt mitgenommen; und nicht nur der bildnerischen Kunst, sondern auch der Ästhetik. In der Zeit mit Sottsass habe ich sehr viel gelernt, auch wenn ich nach der Gründung meines eigenen Architekturbüros eine andere Richtung eingeschlagen habe.
Wie meinen Sie das?
Im Sinne, dass ich nicht seinen Stil, seine Handschrift übernommen habe, sondern nur die konzeptuellen Werte seiner Werke, die meine technische Ausbildung abgerundet haben. Sottsass förderte die Energie und ermutigte die Blauäugigkeit junger Architekten, ihren Willen die Welt zu verändern. Dieses Vertrauen in die neuen Generationen und seine Tendenz zu Arbeiten, die nicht-technisch komplex sind, habe ich sehr geschätzt. 1996 habe ich dann mein eigenes Büro eröffnet, ohne einen einzigen Kunden zu haben; ich weiß nicht, ob das Mut oder Leichtsinn war. Zu Beginn habe ich mich mit Design für einige kleine Möbelhersteller in Italien, Skandinavien und Japan beschäftigt. Bei Sottsass hatte ich mit Architektur zu tun, aber die Designbranche war für Ausländer einfach offener.
Was war Ihr erstes Projekt?
Das erste Projekt war Chip Chair für die Firma Zeritalia. Vier hektische Stunden Arbeit, um genau das zu produzieren, was in direktem Kontrast zum Ansatz von Ettore stand… und plötzlich überall veröffentlicht wurde! Gemeinsam mit meinem guten Freund James Irvine haben wir dann einen Bus für Mercedes Benz geschaffen; ein wunderbares Projekt für die Stadt Hannover. Sottsass war mit seinen ehemaligen Mitarbeitern sehr großzügig und hat mir danach den Auftrag eines deutschen Herstellers von Tischbesteck und Töpfen weitergeleitet, der WMF, und eines Keramikherstellers, der Cedit, der eine Produktlinie für den asiatischen Markt starten wollte. Diese Projekte habe mir am Anfang meiner Karriere das Überleben gesichert.
Sie haben sich in Ihren Projekten auch mit den Werken anderer Meister der italienischen Architekturwelt auseinandersetzen müssen, wie beispielsweise mit Franco Albini während des Restyling des Kaufhauses La Rinascente in Rom und mit Achille Castiglioni und seinem Palast der Permanente in Mailand.
Für die Restaurierung des Gebäudes der Rinascente in Rom von Albini forderten die Auftraggeber eine recht radikale Maßnahme: Es sollten die Kundenströme geändert werden. Das war sehr schwierig, denn bei Meisterwerken wie diesem, besteht unser Ansatz meist darin, den Originalzustand nicht radikal zu verändern. Damit dieses Bauwerk auf funktionaler Ebene passend war, mussten wir eine Sanierung durchführen, denn Albini hatte seinerzeit nicht die technischen Mittel, die wir heute haben. Die von Albini realisierten Treppen haben wir so belassen. Saniert wurde die Gebäudestruktur und wir haben versucht die Fassade und andere Elemente des Bauwerks so respektvoll wie möglich einzubinden. Einige Etagen wurden ebenfalls saniert; dabei habe ich versucht, so wenig wie möglich einzugreifen, damit diese Eingriffe als Fortsetzung des Urzustandes gesehen werden können. In ähnlicher Weise sind wir beim Museum der Permanente in Mailand vorgegangen, wo wir viele Installationen für zeitgenössische Ausstellungen realisiert haben. Während dieser Maßnahmen sind Originalelemente von Castiglioni zutage getreten. Nach der Ausstellung hat uns die Museumsdirektion gebeten, diese sichtbar zu lassen.
Was sind Ihre bedeutsamsten Projekte?
Meine Karriere bewegt sich in zeitlich aufeinander folgende Makrophasen. In den ersten Jahren war es für einen Ausländer nicht einfach, Zugang zur Architekturwelt zu finden; in Mailand gab es nur wenige Büros, die Großprojekte hatten. Meine erste Phase konzentriert sich daher auf die Designwelt, vor allem Möbel. Aber an einem gewissen Punkt angekommen, musste ich mich entscheiden. Typischerweise sind italienische Architekten seit Anfang der 50er Jahre mit Projekten, die vom Löffel zur Stadtgestaltung spannen, beschäftigt. Der Grund für meinen Umzug nach Italien war genau dieser, ich wollte ein bisschen von allem machen. Ausgehend von Möbeln als Haupttätigkeit, habe ich mich dann der Innenarchitektur zugewendet. Ich habe für Louis Vuitton gearbeitet, vor allem in Asien und dem Restyling seiner Standardmöbel und Innenausstattung. Parallel dazu war ich weiter im Design tätig und habe beispielsweise die Möbel für Contractlieferungen für Cassina und B&B entwickelt.
Der Stuhl, den Sie 2005 für Montina entworfen haben, ist sehr schön.
Der Stuhl heißt T1 und der Hersteller Montina, gegründet von der Familie Montina mit Gio Ponti als Art Director, ist ein namhaftes Unternehmen. Ich habe Projekte entworfen für Unternehmen, in denen Meister wie Montina, Fontana Arte, Poltronova, Oluce tätig waren. Meine Absicht war es, leise einzutreten, Respekt zu zollen, dabei aber keine Angst zu haben, etwas Neues zu entwickeln.
Haben Sie sich nach der Zeit mit Sottsass noch weiter mit Architekturplanung beschäftigt?
Nach unserer Kooperation mit Vuitton haben wir viele Projekte in Japan in Bereich Einzelhandel und Innenarchitektur durchgeführt. Danach wollte ich wieder zur Architektur und zur Planung und Entwicklung von Gebäuden zurückkehren. In Italien habe ich allerdings nur kleinere Projekte umgesetzt und wir nehmen an Ausschreibungen teil, beispielsweise für das Areal um Porta Nuova in Mailand, an dem wir gemeinsam mit dem niederländischen Studio West 8 teilgenommen haben. Unser Thema ist Wasser und die Navigli Kanäle. Wir arbeiten häufig mit größeren Büros zusammen als unseres, um uns in strukturierter Weise und großräumig angelegten Strategien zu bewegen.
Sie erwähnten vorhin Ihre Kooperation im Bereich Keramik mit der Cedit.
Wir haben eine Kollektion für den asiatischen Markt kreiert, in Italien produziert, mit der Idee, diese an chinesische Großhändler zu verkaufen. Ende der 90er Jahre wollten die Chinesen die Kollektion von Sottsass zu wesentlich niedrigeren Preisen kaufen, aber das war nicht möglich. Für Cedit haben wir eine Kollektion mit Blumenmotiven entwickelt, mit geometrischen und abstrakten Linien, weicher fließend als die von Sottsass.
Haben Sie danach weiter in der Keramik gearbeitet?
Ich habe vor rund 10 Jahren mit dem Hersteller Provenza Ceramiche zusammen mit Freunden wie Konstantin Grcic und Fabio Bertolani Projekte entwickelt als Großformate in 3×1 m in den Anfangsstadien waren. Das Unternehmen hatte uns beauftragt, ihr Produkt auf experimenteller Ebene zu interpretieren. Die sehr abstrakte und schlichte Linie hieß Landscape. Heute geht der Trend eher zu Naturoptik, Naturstein und Marmor.
Wie sehen Sie das Thema der Imitation anderer Werkstoffe in der Keramikwelt?
Ich finde es sehr interessant, denn es gibt nicht genug ‚Natur‘ für alle Projekte, auch wenn echter Marmor und echtes Holz wunderbar sind und nach vielen Jahren sogar noch an Schönheit gewinnen. In der Keramikwelt mag ich aus diesem Grund besonders Feinsteinzeug, ein Material, das sehr gut altert.
Mai 2018
BIOGRAPHIE
Tim Power gründet 1996 Tim Power Architects und realisiert Architektur- und Designobjekte in USA, Europa und Asien.
Zu seinen Kunden zählen Louis Vuitton, Motorola, Texas Instruments, Muji, J Walter Thompson, UCI (Paramount Pictures), für die er Ladengeschäfte, Büros und Studios schafft. Er entwickelt und plant sowohl das gesamte Architekturobjekt als auch die Innenausstattung.
Als Designer schuf er Industrieprodukte, Möbel und Objekte für FontanaArte, Oluce, Poltronova, Rosenthal, Mitsubishi, Cassina/Interdecor, WMF, Montina, David Design, BRF, Alfi.
Im Kulturbereich hat er Ausstellungen und Installationen geschaffen für: Biennale von Venedig, Design Biennale von St. Etienne, 1999, und die Triennale in Mailand, wo er 2016 im Rahmen der 21. Internationalen Triennale den Bereich Design from Asia gestaltete.
Er hat mit internationalen Brands kooperiert, wie West 8, Akihiro Hirata, Sou Fujimoto Architects, 8 Inc., Nendo, Jun Aoki & Associates, Rosemarie Trockel, SWA Group, Foreign Office Architects, James Corner Field Operations, Junya Ishigami, Toyo Ito, Sam Hecht, Morphosis Architects, sowie an Projekten, Vorschlägen und Architekturwettbewerben teilgenommen.